Semmelweisareal Haus 1, Wien-A

Funktionsadaptierung und Sanierung des denkmalgeschützten Bestandes für die Unterbringung einer Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe und einer Bundesfachschule für wirtschaftliche Berufe und Sozialberufe - 2021

Anerkennungspreis

EU-weiter, offener, einstufiger Realisierungswettbewerb

© KNAUER ARCHITEKTEN
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Projektbeschreibung

 

1. Städtebauliche und architektonische Aspekte:

 

Die wesentlichste Frage bei der Herangehensweise an die Aufgabenstellung ist jene nach der Lage des Schulhaupteingangs. Zur Entscheidungsfindung dienten sowohl exogene wie auch endogene Kriterien:

 

          Die städtebaulichen (exogenen) Rahmenbedingungen definieren sich aus der Lage des Gebäudes innerhalb des Semmelweis-Areals und des gesamten Areals im vorhandenen Stadtquartier, wobei der Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln ein besonderes Augenmerk zukommt.

 

·        Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Lage der verschiedenen Gebäude am Areal zueinander: War auf Grund der einheitlichen Nutzung des Areals in der ursprünglichen Disposition eine ganz klare Hierarchie der Erschließung vorgesehen (Haupteingang von Bastiengasse mit direktem Zugang vom Eingangsvorplatz zum Direktions- und Verwaltungsgebäude der Semmelweis-Klinik), so gibt es für die ehemaligen Klinikgebäude zwar das gemeinsame Ziel diese für Bildungseinrichtungen zu adaptieren, jedoch mit unterschiedlichen Betreibern und unterschiedlichen Ausbildungszielen und wirtschaftlichen Konzepten. Diese neuen, geänderten Parameter verlangen auch eine Neuorientierung der Gebäude zueinander. Da die Häuser 3, 5 und 6 nunmehr von der privaten Amadeus International School genutzt werden, die Gebäude 1, 2 und 4 jedoch zu höheren bildenden Schulen des Bundes umfunktioniert werden sollen, erscheint eine Aufwertung des Parkbereichs zwischen Haus 1 und 2 als wichtige Maßnahme. Durch eine Verlegung des Schulhaupteingangs an diese Seite (=Nordfassade) kann einerseits eine großzügigere Vorplatzgestaltung erzielt werden, die auch von beiden Gebäuden (Haus 1 und 2) als Pausen- und Freizeitbereich genutzt werden kann.

 

·         Durch eine Verlegung des Haupteingangs an die Nordseite wird weiters die Erreichbarkeit des neuen Schulgebäudes von der Straßenbahnlinie 41 (Station Erndtgasse) deutlich verbessert. Über den in der Erndtgasse gelegenen Parkeingang kann somit das Schulgebäude über eine relativ kurze Wegverbindung erreicht werden.

 

·         Als „endogene Entscheidungsfaktoren“ für die Verlegung des Haupteingangs an die Nordseite des Gebäudes diente die Überlegung, dass der vorhandene Haupteingang an der westlichen Stirnseite des Gebäudes, über den frühmorgens ca. 600 Personen das Gebäude betreten wollen, sowohl von seiner Dimensionierung als auch von seiner asymmetrischen Positionierung, in einem ansonsten symmetrischen Gebäude, als ungeeignet für die Haupterschließung eines zeitgemäßen Schulgebäudes angesehen wird. Er ist nicht barrierefrei und verteilt die Schülerinnen ungünstig auf die unterschiedlichen Stiegenhäuser.

 

Die Entscheidung fiel somit auf einen neuen Schulhaupteingang an der Nordseite des Hauses, östlich des nördlichen Mittelrisalits, an einer Stelle, an der das vorhandene Gelände nur unwesentlich verändert werden muss und die Schülerinnen das Gebäude im Untergeschoß barrierefrei betreten können. Über einen Windfang und eine Aula gelangen sie direkt in den zentralen Garderobenbereich und von dort über leicht erreichbare Stiegenhäuser in die jeweiligen Obergeschoße.

 

Der frühere Haupteingang an der Westseite bleibt erhalten und kann als Eingang für das Lehrpersonal und Besucher (z.B. Eltern der SchülerInnen) dienen, da dieser Zugang direkt in den Verwaltungsbereich der Schule führt.

 

2. Funktionale Aspekte:

 

Zusätzliches Treppenhaus: Auf Grundlage der geplanten Personenanzahl ist es erforderlich, ein zusätzliches Fluchtstiegenhaus im Bestandsgebäude vorzusehen. Dieses ist über die Aula des neuen Haupteingangs direkt zu erreichen. Im Stiegenauge ist ein barrierefreier Lift vorgesehen, der alle Geschoße erschließt.

 

Neues 2. Untergeschoß: Die neue Treppe samt Lift wird auch in ein neues Untergeschoß geführt (2. UG), welches an das bestehende Gebäude angebaut wird (siehe Statik Pkt.1). Es enthält einige Nebenräume und alle erforderlichen Technikräume. Der die verschiedenen Gebäude des Semmelweis-Areals verbindende Kollektorgang mündet in diesen Bereich, sodass alle vorhandenen Infrastrukturleitungen direkt angeschlossen und im Gebäude weiter verteilt werden können.

 

Die Lüftungszentrale ist derzeit im 4. OG vorgesehen (planlich nicht dargestellt). Sie kann jedoch bei Bedarf ebenfalls im neuen 2.UG untergebracht werden, da die nördliche Begrenzungswand beliebig weit nach Norden verschoben werden kann (bis auf 20 % der Fläche des erweiterten Bearbeitungsgebiets = 468 m²). Theoretisch wäre auch die Verbindung der Häuser 1 und 2 mit einem gemeinsamen Kellergeschoß bzw. einem erweiterten Kollektorgang möglich, von dem aus auch intern der Müllraum von beiden Häusern erschlossen werden könnte (siehe Grundriss 2. UG und Schnitt 3-3). Diese (theoretische) Verbindungsmöglichkeit ist im Grundriss 2. UG nur abstrakt dargestellt und nimmt in ihrer Darstellung nicht Rücksicht auf den vorhandenen Baumbestand.

 

Kompakte WC-Einheit: Gegenüber dem neuen Fluchtstiegenhaus im nördlichen Mittelrisalits, getrennt durch die vorhandene Vertikalerschließung, ist in allen Geschossen eine kompakte WC-Einheit geplant. Sie liegt zentral erreichbar für SchülerInnen und LehrerInnen.

 

1. Untergeschoß: Im 1. UG befindet sich der SchülerInnenhaupteingang mit der angeschlossenen Zentralgarderobe. Die Raumabfolge Windfang-Aula-Gang-Garderobe soll dabei so „flüssig“ und transparent wie statisch möglich erfolgen (Siehe Statik Pkt. 2.).

 

Der westliche, erdberührte Teil des 1. UGs beherbergt den Müllraum für Küchenabfälle, die Lagerräume und die Betriebsküche. Diese Räume sind eine geschlossene Betriebseinheit, die einen reibungslosen Arbeitsablauf erwarten lassen. Die Zu- und Ablieferung von Lager und Müllraum erfolgt über eine Hebebühne im Freien, die den Höhenunterschied zwischen Innen und Außen von ca. 1 Meter überwindet. Der Küchenmüll wurde vom Restmüll des Hauses getrennt, da sie funktional zwei getrennten Betriebseinheiten angehören und auch idR von zwei unterschiedlichen Entsorgungsunternehmen zu verschiedenen Zeiten entsorgt werden.

 

Der Speisesaal inkl. Lehrbar schließt mit der Ausgabe, an der der Höhensprung des Fußbodens erfolgt, direkt an die Betriebsküche an. Hier ist geplant, die zum Gang hin vorhandene Ziegelmauer größtmöglich zu durchbrechen (siehe analog Pkt. 2 der Statik). Das daran nördlich anschließende Gelände soll bis auf Fußbodenniveau abgegraben werden (um ca. 1,5 m), um einen direkten Ausgang vom Speisesaal auf eine Terrasse zu ermöglichen, auf der in der warmen Jahreszeit Speisen im Freien eingenommen werden können bzw. diese auch als Freizeitterrasse dienen kann. Der in diesem Bereich vorhandene Ausgang des Stiegenhauses wird aus diesem Grund um 90 Grad an die Nordseite verlegt. Diese Maßnahme wird auch beim gegenüberliegenden, östlichen Stiegenhaus vorgenommen, da der alte Ausgang nunmehr durch den Schulhaupteingang eingenommen wird.

 

Im östlichen Teil des 1. UG‘s wird die Bibliothek samt Medien- und Projektraum untergebracht. Die Bereiche verfügen über große Raumhöhen, bieten einen freien Blick in den östlich vorgelagerten Park und verfügen über den vorhandenen Ausgang in den westlichen Hofbereich über einen direkten Zugang zum Freibereich. Das Ziel ist, eine möglichst große Transparenz zwischen interner Erschließung und Bibliothek bzw. innerhalb der Funktionseinheit selbst zu schaffen (siehe analog Pkt. 2 und 3 Statik).

 

Erdgeschoß: Im westlichen Teil des Erdgeschosses ist die gesamte Verwaltung untergebracht. Der ehemalige Gebäudehaupteingang dient nunmehr als eigener Zugang zu dieser Funktionseinheit. Im östlichen Teil werden die Küchenunterrichtsräume untergebracht. Über dem Haupteingang wird eine Freiterrasse vorgeschlagen, die über das neue Stiegenhaus betreten werden kann. Diese Situierung des Zugangs verändert die denkmalgeschützte Fassade nur geringfügig und erlaubt auch den SchülerInnen der anderen Geschoße diesen Freibereich möglichst direkt zu erreichen. In Verbindung mit dem Buffet stellt die Terrasse eine attraktive Pausenfläche für die warme Jahreszeit zur Verfügung

 

1. Obergeschoß: Im westlichen Teil des 1. OG‘s sind Stammklassen untergebracht, im östlichen die Naturwissenschaften und ebenfalls Stammklassen. Ein zentral gelegener Pausenbereich kann von beiden Seitenflügeln genutzt werden (Statik siehe Pkt. 5 und analog Pkt. 4).

 

2. Obergeschoß: Im östlichen wie im westlichen Teil des 2. OG‘s befinden sich Stammklassen. Im zentralen Bereich des ehemaligen Hörsaals und der Kapelle wird der Musikunterricht untergebracht. Die zu einem späteren Zeitpunkt eingezogene Zwischendecke wird wieder entfernt und der Raum als zweigeschossiger Festsaal mit Galerie, die aus dem 3. OG zu betreten ist, ausgebildet. Über Verglasungen (Brandschutzverglasung) im Gangbereich des 3. OG‘s gibt es Ein- und Durchblicke in den darunter liegenden Musikbereich.

 

3. Obergeschoß: Hier befinden sich die Sonderunterrichtsräume (BE und Textilverarbeitung) in den beiden Seitentrakten und die EDV-Bereiche im südlichen Längstrakt. Die Raumhöhen betragen in diesem Bereich ca. 230 cm. Die Belichtungsflächen sind für Aufenthaltsräume nicht ausreichend dimensioniert. Der Entwurf sieht daher das Entfernen der obersten Geschoßdecke in diesen Bereichen vor, wobei noch zu klären ist, wie die darüber befindliche Dachstuhlkonstruktion ausgebildet ist. Ziel wäre jedenfalls, den Dachstuhl samt Dachhaut zu erhalten, eine zusätzliche Raumbelichtung über neue Dachflächenfenster zu erzielen und somit die Raumhöhe zu vergrößern.

 

4. Obergeschoß: Dieser Bereich wurde planlich nicht dargestellt, da vorerst zu klären ist, ob nach Abbruch des vorhandenen Lifts, die Räumlichkeiten als Lüftungszentrale geeignet sind oder nicht (siehe auch Abschnitt „Neues 2. Untergeschoß“). Die Dachkonstruktion bleibt mit Ausnahme der Maßnahmen lt. Beschreibung 3. OG unverändert. Ebenso die Dachsilhouette.

 

3. Freiraumplanung:

 

Hierarchie der Freibereiche: Während der Haupteingang Bastiengasse mit dem daran anschließenden „Empfangsvorplatz“ mit dem Standbild Kaiser Franz Josefs I. repräsentativen Charakter mit Verteilerfunktion aufweist, so erfüllt der Grünraum zwischen Haus 1 und 2 andere Aufgaben. Er dient als Vorplatz der beiden Schuleingänge, als Feuerwehrzufahrt (Brandschutz), zur Anlieferung / Entsorgung und als Pausen- und Freizeitbereich mit Verweilqualität. Um diese Funktionen erfüllen zu können, wurden die geforderten Fahrradabstellplätze für Haus 1 und 2 an der östlichen Stirnseite des Gebäudes vorgeschlagen, im Kreuzungsbereich Bastien-/Erndtgasse, wo sie fußläufig auf kurzen Wegen zu erreichen sind, jedoch visuell in den Hintergrund gedrängt werden.

 

Geländemodellierung: Im östlichen Teil dieses gemeinsamen Freibereichs wird ein freistehendes Müllgebäude vorgeschlagen, das für den Restmüll beider Häuser dimensioniert wurde (unter der Annahme, dass im Haus 2 ähnlich viele SchülerInnen unterrichtet werden). Der Eingang zum Müllraum wurde soweit wie möglich nach Osten verlegt, um das abfallende Gelände auszunutzen und das Niveau des Raumes möglichst tief absenken zu können. Dem Müllraumeingang ist ein Rankgerüst als Grünwand vorgeblendet, um den Zugang zum Vorplatz vom Osten aus einladend zu gestalten (siehe Ostfassade).

 

Durch diese Positionierung wird das Dach des Müllhauses vom westlich anschließenden Grünraum über eine breite Sitztribüne begehbar (siehe Schnitt 3; Höhenunterschied ca. 150 cm) und als zusätzlicher Freizeitbereich nutzbar. Eine Pergola verstärkt den Charakter einer Gartenlaube. Unterhalb der Sitztribüne wäre auch noch eine wetterunabhängige, interne Verbindung über das 2. UG mit den Häusern 1 und 2 denkbar (Höhenunterschied Müllraum-2. UG ca. 200 cm).

 

Das Freiraumkonzept versucht generell die vorhandenen Elemente wie das Ignaz-Semmelweis-Denkmal, die vorhandene Bepflanzung bzw. die Wegführung/Erschließung aufzugreifen und in ein neues Ganzes mit einzubinden. Das bedeutet, dass sowohl die Wegführung samt ihrer östlichen und westlichen Anschlüsse im Wesentlichen erhalten bleiben (Fahrbahnreduktion), ebenso wie der gesamte Baumbestand.

 

Eine ondulierende Wegführung verbindet in einer zum Schlendern einladenden Geste die wesentlichen Bezugspunkte des Freiraumes miteinander (im Westen das Ignaz-Semmelweis-Denkmal mit neuen Sitzgelegenheiten, im Norden den Schuleingang von Haus 2, im Osten „die Laube“ und im Süden den neuen Schulhaupteingang von Haus 1).

 

Die Berücksichtigung der vorhandenen Geländemodellierung verstärkt den naturnahen Parkcharakter des Freiraums.

 

4. Denkmalschutz:

 

Die Form der gewählten Erschließung hat zur Konsequenz, dass nur kleine Eingriffe in die Fassade des denkmalgeschützten Hauses erfolgen, etwa durch den eingeschossigen Zubau (Aula Haupteingang) im Untergeschoß. Zusätzlich werden bei den beiden vorhandenen, seitlichen Stiegenhäusern die Notausgänge verlegt und im Untergeschoß, im Bereich des Speisesaals, wird das anschließende Geländeniveau auf die Höhe des Untergeschosses abgegraben, um die Attraktivität dieses Bereichs zu erhöhen und den Speisenden in der warmen Jahreszeit die Essenseinnahme im Freien zu ermöglichen. In die Dachfläche des südlichen Längstrakts werden je drei Dachflächenfenster eingebaut.